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Ich will mich nicht streiten! Aber warum klappt das eigentlich nicht? (Teil 2)

Nun kommt endlich der zweite Teil der Frage, warum wir uns im Konflikt eigentlich streiten? Eine (sinnvolle) Einigung wäre in vielen Fällen doch viel angenehmer, scheint aber in unerreichbarer Ferne. Warum eigentlich?

 

In Teil 1 des Beitrages hatten wir schon festgestellt, dass es verschiedenen Fallen gibt, die wir uns bei der Konfliktbewältigung selbst stellen: die sogenannten Einigungshindernisse. Hier möchten wir Ihnen nochmals einige weitere dieser Einigungshindernissen vorstellen.

 

 

5.        Kognitive Kurzsichtigkeit

Im Gegensatz zu Tieren kann der Mensch in verschiedenen Teilschritten und mittel- und langfristigen Abläufen denken und planen. Das ermöglich ihm, auch komplexe Strukturen zu bewältigen, weil er sie in einzelne Schritte zulegen und durchdenken kann.

Problematisch ist allerdings, dass dem Menschen diese Eigenschaft mit zunehmender Eskalation eines Konfliktes verloren geht: Er fokussiert sich völlig auf das Hier und Jetzt, in dem er glaubt, sich verteidigen zu müssen.

In vielen Mediationen konnten wir daher erleben, dass Konfliktparteien vor der Mediation unterbreitete Lösungsvorschläge der Gegenseite abgelehnt haben. Bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass der Vorschlag nicht unvorteilhaft oder gar nachteilig gewesen wäre, der wahre Grund der Ablehnung war vielmehr, dass der Vorschlag verschiedene nacheinander geschaltete Schritte vorsah. Allein die Mehrzahl der Schritte überforderte die Medianden. Und dabei müssen diese Schritte für sich genommen nicht komplex sein.

Was folgt daraus? Dass Konfliktlösungen immer einfach sein müssen, dass Mediation nicht für komplexe Themen taugt? Im Gegenteil:

Gerade in der Mediation können komplexe Lösungen entworfen werden. Denn der Grund für die Abwehr mehrstufiger Lösungen ist das „Verteidigungsverhalten“ der Konfliktparteien, das auf das nicht geklärte Verhältnis der Parteien untereinander, also auf die Beziehungsebene zurückzuführen ist. Ist diese Ebene geklärt, was der zentrale Gegenstand der Klärungshilfe ist, entspannt sich die Verteidigungshaltung und komplexeres Denken wird wieder möglich.

 

6.        Überoptimistische Einschätzung der Lage durch die Parteien

           Haben sie schon einmal die Parteien vor dem Gerichtssaal befragt, wie sie die Erfolgschancen für sich einschätzen? Anwaltsmediatoren kennen das Phänomen: Meint die eine Partei zu 60% zu gewinnen, so bliebe für die andere Seite rein rechnerisch nur eine Erfolgschance von 40% übrig. Vor einem Gerichtssaal erreicht die Summe aber ausnahmslos  140 – 160%. Was ist der Grund? Hier sind gleich mehrere Faktoren von Bedeutung:

Zum einen verengt sich die Sichtweise auf die eigenen Argumente. Die Argumente der Gegenseite – mögen sie auch richtig sein – widersprechen dem gewünschten Ergebnis und werden alleine deswegen nicht hinreichend ernst genommen.

Zum anderen gibt es ein Phänomen, das als „Above average Effekt“ bekannt ist. Was bedeutet das?

Alle Menschen – ich bilde da leider keine Ausnahme - schätzen sich selbst etwas besser als der Durchschnitt der passenden Vergleichsgruppe ein. So hält sich jeder für (etwas) besser, schlauer, sozialer, gerissener, taktischer als der Durchschnitt. Und weil wir sehr gut darin sind, uns die Welt schönzureden, glauben wir alle, vom Schicksal begünstigt zu sein: So schätzen wir die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Positives passiert, höher ein, als es die Statistik bestätigt.  Die Wahrscheinlichkeit, dass uns etwas Negatives passiert, schätzen wir hingegen niedriger ein. Sie glauben das nicht: Fragen Sie mal Ihren Nachbarn, wie er sein kleines Aktiendepot managet.

 

Besonders auffällig ist dieses Phänomen, wenn man es mit streitenden Gruppen zu tun hat. Denn hier kommt noch ein weiteres Phänomen zum Tragen: Das risky-shift-Phänomen. Zu deutsch: Personen in Gruppen treffen wesentlich riskantere Entscheidungen, als sie dies als Einzelpersonen tun würden. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass es erheblich aufwendiger ist, Gruppenprozesse umzukehren, wenn sich die Streitgruppe erst einmal gebildet hat.

 

Kommen wir zurück zu Shakespeare aus dem ersten Teil. Wie hieß es dort?

 

Ich bin einmal so tief in Blut gestiegen,

dass, wollt ich nun im Waten stille stehn,

Rückkehr so schwierig wär´als durchzugehen.

 

Und wie hängt das mit den Einigungshindernissen zusammen? Es ist das Phänomen der Sunk costs. So neigt der Mensch dazu, den Weg umso mehr weiterzugehen, je mehr er in den bisherigen Weg investiert hat. Eine Konfliktlösung wird also umso schwieriger, je mehr Zeit und Geld die Konfliktparteien bisher in den Streit investiert haben. Das klassische Beispiel ist der Kläger, der bereits Unsummen in einen Prozess gesteckt hat. Er wird auch weiteres Geld in aussichtslose Verfahren stecken und sich selbst und andere davon überzeugen wollen: „Ich habe schon zu viel investiert, um jetzt aufzuhören“

 

Deshalb können wir nur raten: Beginnen Sie frühzeitig mit der Konfliktklärung, denn das erhöht die Chancen der Lösung ungemein. Und mit all den ersparten Kosten können Sie sich etwas Schönes gönnen: Ein schöne Abendessen ist es allemal,  in vielen Konflikten ein schöner Urlaub, in größeren Fällen ein Einfamilienhaus. Glauben Sie nicht? Dann lesen Sie unserer nächsten Blogbeitrag, in dem wir uns mit den versteckten Kosten von Konflikten auseinandersetzen.

 

Bis dahin

Ihr

Volkhard Neumann

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